„Eine schwierige Entscheidung“
Es war Anfang März und für den Welser Turnverein 1862 stand ein Großereignis vor der Tür: der 29. Internationale Welser HOLTER Halbmarathon am Sonntag, 15. März 2020. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 1000 nationale und internationale Läufer angemeldet und die intensiven Vorbereitungs-Arbeiten so gut wie beendet.
Doch dann: das Bekanntwerden des 1. Corona-Falles in Thalheim am Sonntag, 8. März, in unmittelbarer Nachbarschaft des Vereins.
Die Gesundheit unserer Mitglieder steht an erster Stelle und so schrillten bei uns sofort die Alarmglocken. In der am nächsten Tag, Montag 9. März, unmittelbar einberufenen Turnratssitzung wurde der Beschluss gefasst, das gesamte Gelände zu sperren und den laufenden Turnbetrieb mit sofortiger Wirkung einzustellen.
In dieser geschichtlich noch nie dagewesenen Situation konnten wir uns nur ganz auf uns selbst und unsere Verantwortung unseren Mitgliedern gegenüber verlassen. Wir waren der erste Verein in Wels, der sich für eine derartige Maßnahme schon eine Woche vor dem, von der Regierung beschlossenen ersten harten Lockdown, entschied und konsequent durchgesetzt hat.
In dieser Phase gab es großes Verständnis und Unterstützung von unseren Mitgliedern. Die uns darin bestätigten, die richtigen Schritte gesetzt und im Sinne der Gesundheit gehandelt zu haben – auch wenn es ab sofort ein gewaltiger Einschnitt in unser aller Leben war. Das Fehlen der täglichen Bewegungsroutine, der Möglichkeit der sozialen Begegnung und des Austausches danach trafen uns alle von einem Moment auf den anderen – und das auf unbestimmte Zeit.
„Wir gehen online“
Nach dem ersten Schock gingen wir sofort wieder in Aktion, um die Verbindung zu unseren Mitgliedern zu halten und ihnen ein Ersatz-Sportprogramm anzubieten. Unsere Trainer drehten zahlreiche Trainingsvideos und mittlerweile sind über 150 Aufnahmen entstanden, die dauerhaft auf der WTV-Homepage und Facebook abrufbar sind. Die Bandbreite reicht vom Kinder‑, Gerät- und Kunstturnen, über Cardio & Core Fitness, abwechslungsreiche Workouts, bis hin zur Soft Fitness mit Yoga, Pilates, Qigong und Zumba.
„Die Sportstätten dürfen wieder öffnen“
Am 15. Juni der erste Lichtblick: unter Einhaltung aller behördlich vorgeschriebenen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen durfte der Turnbetrieb, zwar eingeschränkt, wieder stattfinden. Der Babyelefant hatte zu uns gefunden. In den Turnsälen wurden Bodenmarkierungen aufgeklebt, die Räume entsprechend vermessen und die Teilnehmerzahl gemäß den Vorgaben reduziert. Zusätzlich wurden Desinfektionsmittel für Hände, Matten und Geräte bereitgestellt und Teilnehmerlisten für das Contact Tracing geführt. Auch in unserer vereinseigenen Gastronomie wurde dies umgesetzt. Zwei Turnratsmitglieder wurden zu COVID-Beauftragten ausgebildet.
Kein organisatorischer Aufwand war uns und unseren Mitgliedern zu groß, um das geliebte gemeinsame Training und das Vereinsleben aufrecht zu erhalten.
In dem kleinen Zeitfenster von 15. Juni bis zum Beginn der Sommerferien am 13. Juli machte das WTV Team mit großem Aufwand auch das Eltern-Kind-Turnen sowie das Gerät- und Kunstturnen und Tanzen für unsere Kinder und Jugendlichen möglich.
Während der folgenden Monate bis hin zum zweiten Lockdown Anfang November verlief unser Turnbetrieb den Umständen entsprechend „normal“. Mit Stolz und Freude können wir sagen, dass wir keinen einzigen COVID-Fall hier im Verein zu vermelden haben und hatten.
„2020 – heuer leider keine (Groß-)Ereignisse“
Leider fielen auch fast alle Veranstaltungen den restriktiven behördlichen Maßnahmen zum Opfer. Dazu gehörten unter anderem:
- alle Turnwettkämpfe
- der Internationale Welser HOLTER Halbmarathon
- die traditionelle Sonnwendfeier
- der jährliche Tanzabend
- der ÖTB Bewegungstag
- das Bundes-Turnfest
- das traditionelle zweitägige Schauturnen
Trotz aller Lockdowns konnte die Schwimmabteilung des Welser Turnvereins an 10 Wettkämpfen teilnehmen. Dabei gab es einige großartige Erfolge. Vor dem ersten Lockdown im März gingen die Österreichischen Mannschaftsmeisterschaften noch normal über die Bühne. Während die Damen mit dem sechsten Platz in der A‑Liga in die Bundesliga‑B absteigen mussten, schaffte das Herrenteam den Aufstieg.
Mit hervorragenden 75 Medaillen bei den OÖ Hallen Landesmeisterschaften in Vöcklabruck gingen unsere Teams in eine lange Wettkampfpause. Erst im Juli kam es zur Durchführung der Österreichischen Mannschaftswettkämpfe der Schülerklasse in Maria Enzersdorf. Dort wurden die Mädchen Zehnte und die Burschen Siebente. Drei Wochen später gab es bei den 75. Österr. Staats‑, Junioren- und Nachwuchsmeisterschaften in der Grazer Auster 7 Medaillen in den Nachwuchsklassen. Lukas Edl wurde dabei 1x Erster, 3x Zweiter und 1x Dritter, Zwillingsschwester Lena 1 x Dritte und Anna Glen 1 x Zweite.
Bei den 32. Österreichischen Masters-Meisterschaften, die im Oktober ebenfalls in der Grazer Auster stattfanden, wurden 10 erste, 6 zweite und 4 dritte Plätze erobert. Mit zwei Einladungswettkämpfen des Österreichischen Schwimmverbandes, an denen 8 Welser Turnverein Schwimmerinnen und Schwimmer teilnahmen, ging das so verrückte Jahr 2020 zu Ende.
Leider auch ohne das 48. Internationale SWIM CITY Wels Meeting, welches traditionell im Mai stattfindet.

„Wir lassen uns nicht unterkriegen“
Weil es von Anfang an unser Bestreben war, den Turnbetrieb so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, kamen unzählige organisatorische und administrative Arbeiten auf uns zu: Zutrittsregelungen, Beschilderungen, Turnsaal-Bodenmarkierungen, Teilnehmerlisten für das Contact Tracing (unter Berücksichtigung der DSGVO) samt Ablage und Entsorgung nach 30 Tagen, ganz zu schweigen von der sensiblen Kommunikation mit unseren Mitgliedern bezüglich Corona.
Das Unangenehmste war und ist die Kurzfristigkeit, mit der wir als Verein die behördlichen Entscheidungen und Vorschriften erfahren und umzusetzen haben. Daraus resultiert mittlerweile zunehmendes Unverständnis bei vielen unserer Mitglieder — vor allem auch im Kinderturnbetrieb.
Die mit Beginn der Pandemie einsetzende Kündigungswelle hat mittlerweile die Größenordnung von über 600 Abmeldungen erreicht. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Wir befinden uns – gemäß den Worten des Gesundheitsministers — auf den letzten 10 Kilometern vor dem Ziel und die Überwindung der Pandemie scheint greifbar. Die Hoffnung, sehr bald wieder die ganze Fülle an Bewegungsangeboten nutzen zu dürfen, sich mit seinen Sportsfreunden gegenseitig zu motivieren und nach dem Sport die Geselligkeit zu pflegen, schwankt – aber sie bleibt.
„Das Beste kommt zum Schluss! Ricardo darf in Mersin an den Start“
Denn auch unter allerschwierigsten Bedingungen kann geturnt werden!
So konnten die österreichischen Kunstturner Elite mit Heeressportler-Sondergenehmigung und unter immensen Sicherheitsauflagen im Dezember zu den Kunstturn Elite Europameisterschaften in die Türkei einreisen und als Mannschaft den sechsten Platz belegen.
Team-Mitglied Ricardo Rudy, dessen Turnwiege im WTV steht, hat das Erlebte in seinem Wettkampftagebuch festgehalten.
„Sie war mein bisheriges Karrierehighlight, die Europameisterschaft 2020 in Mersin/Türkei.
Dabei stand, auch nach dem Qualifikationsprozess, lange gar nicht fest, ob wir teilnehmen können. Corona-Verschärfungen hier, Corona-Lockerungen da, Reisewarnung eingeführt, Reisewarnung aufgehoben, … Es war ein langes Auf und Ab, was das Training definitiv nicht erleichterte. Schlussendlich aber durften wir anreisen und nach 3 Corona-Tests auch turnen.
Es war also alleine die Tatsache, dass wir mitturnten schon erfreulich genug — dass der Wettkampf dann auch so gut lief, war einfach der Wahnsinn.
Ich ging fürs Team am Boden, am Pferd, am Sprung und am Barren an den Start. Wir (Vinzenz Höck, Alexander Benda, Manuel Arnold, Severin Kranzlmüller und ich) erturnten mit einem fast fehlerfreien Wettkampf 139.226 Punkte und schafften es, uns für das Teamfinale der besten 6 Mannschaften zu qualifizieren!
Im Finale gab es dann, anders als in der Qualifikation keinen Streichwert mehr, sprich 3 Turner turnten pro Gerät und alle Übungen kamen in die Wertung — In der Quali waren es die besten 3 aus 4 Übungen. Dies erhöhte gemeinsam mit der Tatsache, dass es das erste EM-Finale für uns alle war, den Druck und die Nervosität enorm.
Ich ging im Finale am Boden, am Pferd und am Sprung an den Start und schaffte es, meine Leistung an allen drei Geräten im Vergleich zur Quali noch zu steigern! Leider passierte uns sonst im Team der ein oder andere folgenschwere Fehler und wir mussten uns letztendlich mit dem 6. Platz zufriedengeben.
Nichtsdestotrotz das beste Teamergebnis in Österreichs Turngeschichte.
Am Sonntag fanden dann die Gerätefinali statt, bei denen es einen Wahnsinns Triumph für Österreich gab: Vinzenz Höck gewann an den Ringen Silber, und holte so die erste österreichische EM-Medaille seit über 50 Jahren!
Ich bin extrem froh und stolz Teil dieser historischen Europameisterschaft gewesen zu sein! Ich habe jede Sekunde in der Wettkampfhalle in vollen Zügen genossen und freue mich schon irrsinnig auf mein nächstes Großereignis!“
